– Simbabwe

Menschwerdung und Geborgenheit

Kinder, Jugendliche und Schwester Angeline Mhuka aus Emerald Hill – Waisenhaus und Schule für Gehörlose in Simbabwe – haben für uns die Weihnachtsgeschichte gemalt: von der Verkündigung über den Weg nach Bethlehem bis zur Krippe. Es ist eine afrikanische, keine europäische Weihnachtsgeschichte.

Die Weihnachtsbotschaft aus Simbabwe

Diese Bilder zeugen nicht nur vom Glauben der jungen Künstlerinnen und Künstler in einem Land mit massiven wirtschaftlichen und sozialen Problemen. Sie zeigen uns, dass es kein „europäisches“ und kein „afrikanisches“ Weihnachten gibt, sondern dass die Weihnachtsbotschaft universell ist: „Ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteilwerden soll.“ Das Kinderheim Emerald Hill liegt auf einem kleinen Hügel etwa sieben Kilometer außerhalb der Stadtmitte der Hauptstadt Harare, geführt von Missionsdominikanerinnen. Die Leiterin, Schwester Gabriele Flender, beschreibt uns, was es für Kinder in Simbabwe bedeutet, „verloren“ zu sein, aber auch, wie es gelingt, ihnen Geborgenheit zu schenken. Emerald Hill wurde 1914 offiziell bei der Sozialen Fürsorge im damaligen Rhodesien registriert. Infolge von Krieg und Epidemien wurde die Notwendigkeit eines Waisenhauses offensichtlich.

Niedergang der Großfamilien

Ursprünglich war es ein Heim für Kinder von Europäern. Es wäre damals unerhört gewesen, ein Kind der hiesigen Kultur in einer Institution aufwachsen zu sehen. Für jene war immer die Großfamilie da. Durch die Urbanisierung ist die rettende Großfamilie jedoch sehr ins Wanken geraten. In den letzten Jahrzehnten wurde diese Entwicklung durch die Aids-Epidemie befeuert. Junge Menschen starben und hinterließen die ältere – und die ganz junge Generation. Die Älteren hatten überwiegend kein Einkommen und konnten den vielen Enkelkindern kein Zuhause geben.

Kampf gegen AIDS

Um die Jahrtausendwende hatten wir über eine Million Straßenkinder im Land. Nur ein ganz geringer Teil konnte in Heimen aufgenommen werden. Nur die wirklich bedürftigsten Kinder wurden von der Sozialen Fürsorge in unser Kinderheim gebracht. Durch den Verlust von Eltern und Fami­lienangehörigen sind alle unsere Kinder vom Aids-Trauma betroffen. Etwa 20 Prozent von ihnen tragen selbst das Virus. Dank medizinischer Hilfe, die von guten Menschen ermöglicht wird, stehen diese Kinder unter ärztlicher Kontrolle, werden behandelt und regelmäßig untersucht. Das erhält sie bei bemerkenswert guter Gesundheit und es ist eine Freude zu sehen, wie wohl sie sich die meiste Zeit fühlen.

Vorbereitung auf die Un­ab­hängig­keit

Über die Jahre hinweg hat sich das Gesicht des Heimes, den Umständen und Nöten entsprechend, stark verändert. Heute beherbergen wir 95 Kinder von Nah und Fern. Wir sind registriert für Buben im Alter von 3 bis 13 und Mädchen von 3 bis 18 Jahren. Wenn die Soziale Fürsorge ein Kind in Gefahr findet, fragen sie an, ob wir noch einen freien Platz haben, egal wie alt das Kind ist. Unsere Buben werden nach dem 7. Schuljahr, am Ende der Grundschule, in einem Heim für ältere Kinder aufgenommen. Die Mädchen bleiben offiziell bis zum 18. Lebensjahr; doch in den letzten Jahren haben wir oftmals Kinder zwischen 10 und 12 Jahren aufgenommen, die noch nie in der Schule waren oder etliche Jahre versäumt haben. Diese werden nie mit 18 ihre Schulausbildung beendet haben. Welche Familie würde diese Kinder dann mit 18 auf die Straße schicken? Für die älteren Mädchen, die ihre Schulausbildung beendet haben und einen Beruf erlernen oder im Studium sind, haben wir in einem nahe gelegenen Stadtteil ein paar Übergangshäuser zur Verfügung, in denen sie sich, mit weniger Aufsicht, auf die eigene Un­ab­hängig­keit vorbereiten können.

Leid der Wurzellosigkeit

Das schlimmste Leid unserer Kinder ist das Grundgefühl, von ihren eigenen Fami­lien abgeschoben zu sein, das sich im Ungewolltsein oder in körperlichem und sexuellen Missbrauch, selbst durch nahe Verwandte, äußert. Das hinterlässt natürlich ein sehr schwaches Selbstwertgefühl. Ein anderes Leid ist die Wurzellosigkeit. Einige sind als sehr kleine Kinder „verloren“ gegangen, so dass sie buchstäblich nicht wissen, wo ihre Wurzeln sind. Das ist sehr schwer zu akzeptieren, besonders in der afrikanischen Kultur, wo jeder Stammbaum einer Familie ein eigenes „Totem“-Zeichen hat. Ohne dieses „Totem“ ist traditionell der Wert der Person verringert. Der kleine Felix etwa erzählt, dass seine Großmutter mit ihm in den Bus stieg – und auf einmal war die Großmutter nicht mehr da. Erich ist ebenso ein verloren gegangener Junge. Er wurde im Alter von 2 Jahren gefunden. Er ist ein sehr ruhiger, aber aufgeweckter Bub, er spricht kaum und nun, da er im 3. Schuljahr ist, verliert er oft und immer wieder Dinge. Der Lehrer klagt, dass er Bücher und Hefte verliert, und natürlich kann ein Lehrer mit 50 und mehr Kindern in einer Klasse einem „verlorenen“, ruhigen Jungen kaum irgendwelche Aufmerksamkeit schenken. Zu Hause klammert er sich an jede kleine Zuwendung, die er bekommen kann, und natürlich ist es in einer so großen Familie schwer, nur einem Kind viel Zeit zu schenken, wenn alle Kinder dies in der einen oder anderen Weise nötig hätten.

Überleben im Pleite-Staat

Die gegenwärtige Situation in unserem Land macht das Leben für uns nicht leichter. Wir sind eine staatlich registrierte Wohlfahrtsorganisation und sollten vom Ministerium unterstützt werden. Die Realität ist aber, dass die Regierung sagt, dass kein Geld verfügbar sei. Somit leben wir zu 99 Prozent durch Gottes Hilfe von guten Menschen von Nah und Fern.

Verletzte Kinderseelen

Ein Kinderheim, was ist das eigentlich? Von unseren eigenen Fami­lien wissen wir, dass ein Kind mehr als nur ein Dach über dem Kopf, Essen und Bildung braucht. Die Tatsache, dass unsere Kinder nicht in der Geborgenheit ihrer eigenen Familie aufwachsen können, hinterlässt vielfach tiefe Spuren, ganz abgesehen davon, dass fast alle Kinder Missbrauch verschiedener Art erlebt haben. Wir spüren die Wunden; doch deren Herkunft zu sehen dauert oft sehr, sehr lange. Oftmals kämpfen unsere Kinder noch im Erwachsenenalter damit. Unsere Angestellten benötigen im Umgang mit den Kindern ein großes Herz, da die Kinder oft ihre Wut und Frustration an den Menschen auslassen, die den Platz ihrer Familie einnehmen.

Eine neue Großfamilie

Ansonsten wachsen sie auf wie alle anderen Kinder in einer Familie, nur mit dem Unterschied, dass unsere Familie zehn Mal größer ist. Die Älteren müssen dabei, wie überall, den Jüngeren zur Seite stehen. Unser Tag beginnt morgens um 6 Uhr und für die Jüngeren ist er abends gegen 8.30 Uhr, oftmals nach einer Gutenachtgeschichte, zu Ende. Ehe wir morgens zur staatlichen, lokalen Schule gehen, muss jeder seine Hausarbeit getan haben. Nach der Schule am Nachmittag sind Hausaufgaben zu verrichten. Die Spielzeit danach ist nicht immer lang genug. Für die Älteren werden an Wochenenden oft Workshops, Nachhilfestunden oder Computerarbeit organisiert. Der Werk- und Malraum und ein Musikraum geben allen die Möglichkeit, ihre Talente ausfindig zu machen und ein gesünderes Selbstwertgefühl zu erlangen.

Das Gute geht nicht verloren

Obwohl wir niemals die „echte“ Familie ersetzen können, versuchen wir, den Kindern das zu geben, was wir in Bezug auf Vertrautheit, Bildung und Jugendarbeit tun können, um sie auf eine bessere Zukunft vorzubereiten. Wir können stolz von jungen Menschen sprechen, die durch weiteres Studium oder Training es in ihrem Leben einfach „geschafft“ haben und fest in einem Beruf stehen, als Lehrer, Krankenschwester, Rechtsanwalt und in etlichen anderen Berufen; und von einer Anzahl, die glücklich verheiratet sind. Aber es gibt natürlich auch diejenigen, die auf Grund eines sehr schwachen Selbstwertgefühls davon überzeugt sind, es nie zu schaffen, aus ihrem Teufelskreis herauszukommen, und dass sie die gegebenen Möglichkeiten nicht ergreifen können. Ich glaube fest daran, dass das Gute, das sie erlebt haben, nicht verloren gehen kann und dass es sie einige Zeit später einholen wird. In all ihren Schwierig­keiten und Schmerzen versuchen wir im Alltag, den Glauben an einen liebenden Gott zu vermitteln, der sie nicht im Stich lässt, auch wenn sie sich, wie Er, in Dunkelheit befinden, der uns aber auch täglich reich beschenkt durch so viele gute Menschen. Darum geben wir die Hoffnung auf eine bessere Zukunft nicht auf.

Sr. Gabriele Flender OP

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